Gedenkort Fontanepromenade 15

1.  Zusammenfassung                                                           (Text als PDF)

Im Gebäude Fontanepromenade 15 befand sich im Zweiten Weltkrieg ein Arbeitsamt in dem Juden Zwangsarbeit in Berliner Rüstungsbetrieben zugewiesen wurde. (*1) Die Geschichte des Gebäudes ist seit den 1990er Jahren gut dokumentiert. Eine Gedenktafel wurde im Jahre 2013 vor dem Gebäude aufgestellt. Das Ziel des Vereins Gedenkort Fontanepromenade 15, in dem Gebäude ein Ort der aktiven Auseinandersetzung mit der Geschichte einzurichten, konnte bisher nicht realisiert werden.

2. Geschichte des Gebäudes Fontanepromenade 15

2.1. Bis 1933, der Zeit des Nationalsozialismus

1906 errichtete der Architekt Johannes Kaatz auf einem schmalen Grundstück  das Gebäude Fontanepromenade 15. (*2) Dabei handelte es sich um ein 110 Metern langes einstöckiges Bauwerk, das aus einem mittleren Teil, dem Hauptportal, sowie einen nördlichen und einen südlichen Flügel bestand. Bauherr war die 1886 gegründete Fuhrwerksberufsgenossenschaft. Sie ist heute nach mehreren Fusionen ein Teil der Berufsgenossenschaft Verkehr-Verkehrswirtschaft-Postlogistik und Telekommunikation mit ihrer Hauptverwaltung in Hamburg. (*3) Berufsgenossenschaften sind die Träger der Unfallversicherung von Unternehmen der Privatwirtschaft. Sie sorgen für eine Unfallverhütung am Arbeitsplatz und sind die Versicherung der Beschäftigten bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten.

Das Gebäude Fontanepromenade 15 diente dem „Reichsverband der Fuhrbetriebe“. Das bedeutet, dass dort die Unfallverhütung und die Unfallversicherung der Fuhrbetriebe von ganz Deutschland bearbeitet worden sind. Es war ein reines Verwaltungsgebäude, das nicht für den Publikumsverkehr gebaut worden war. Anfang der 1930 er Jahre errichtete die Innung in der Wexstraße 59, am S-Bahnhof Innsbrucker Platz, ein neues Verwaltungsgebäude. (*4)

2.2. Nationalsozialismus, Zweiter Weltkrieg und Zwangsarbeit

Nach 1933 nutzte die Berufsgenossenschaft ihr Gebäude Fontanepromenade 15 weiter. In einem Teil des Gebäudes war ab 1933 das Arbeitsamt mit einer Berufsberatung untergebracht. (*5) Im Stadtplan aus dem Jahr 1934 (*6) und im Berliner Adressbuch aus dem Jahr 1935 (*7) ist das Gebäude Fontanepromenade 15 als „Arbeitsamt Süd“ verzeichnet.

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahre 1933 wurden schrittweise alle öffentlichen Einrichtungen sowie die Unternehmen der Privatwirtschaft in die Vorbereitung eines kommenden Kriegs mit einbezogen und später der Kriegswirtschaft unterstellt. Dies galt auch für die Arbeitsämter. Im Zweiten Weltkrieg kam ihnen unter anderem die Aufgabe zu  den Unternehmen der Rüstungsindustrie Zwangsarbeiter zu Verfügung zu stellen.

In der Ausstellung „Zwangsarbeit in Friedrichshain und Kreuzberg 1938-1945“, die das Kreuzberg Museum im Jahre 2002 zeigte, heißt es zur Fontanepromenade 15:

Im Gebäude befand sich von 1938 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges die „Zentralstelle für Juden“. Diese Dienststelle war nach der „Reichspogromnacht“ im November 1938 aus dem Landesarbeitsamt ausgegliedert worden und verwaltete den Arbeitseinsatz von Berliner Juden. Alle Männer von 18 bis 55 Jahren und Frauen bis 50 Jahre wurden registriert und zu Schwerstarbeit in so genannten „Judenkolonnen“ eingesetzt. Im Februar 1943 wurden Juden vom Arbeitsort weg in Konzentrationslager deportiert („Fabrik-Aktion“). Auch in der „Zentralstelle für Juden“ kam es zu Festnahmen. (…) (*8)

2.3. Vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis ins Jahr 2013

Zum Ende des Zweiten Weltkrieges galt das Gebäude Fontanepromenade 15 als beschädigt und wieder aufbaubar. (*9) Mit der Teilung der Stadt im Jahre 1948 gehörte die Straße Fontanepromenade zu West- Berlin. Unter der West-Berliner Verwaltung erfolgte der schrittweise Abriss des einstmals 110 Meter langen Gebäudes, (*10) bis nur noch das 25 Meter lange Hauptportal erhalten blieb. Dieses hatte zu Anfang der 1950er Jahre eine freikirchliche Gemeinde erworben und für ihre Zwecke umgebaut. Sie nutzte das Gebäude als Kirche.

Der Versuch einer Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus setzte in der Bundesrepublik und in West-Berlin erst in den 1980er Jahren ein und wurde vorwiegend durch geschichtsinteressierte BürgerInnen und Geschichtsinitiativen geleistet. Exemplarisch hierfür etwa die Arbeit der „Berliner Geschichtswerkstatt“. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit auf das Leben der „kleinen Leute“. (*11) Die nun neuen regionalgeschichtlichen Museen versuchten ausgehend von Alltagsgegenständen die Geschichte zu erzählen. (*12)

So zeigte im Jahre 1991 das Kreuzberg-Museum die von der Geschichtswerkstatt erarbeitete Ausstellung „Juden in Kreuzberg. Fundstücke, Fragmente, Erinnerungen“. (*13) In dieser Ausstellung, die online verfügbar ist, (*14) und in dem gleichnamigen Ausstellungskatalog wurden erstmals umfangreich über das Gebäude Fontanepromenade 15 und seine Funktion in der Zeit des Nationalsozialismus informiert.

Im Jahre 2002 zeigte das Friedrichshain-Kreuzberg-Museum die Ausstellung „Zwangsarbeit in Friedrichshain und Kreuzberg 1938 – 1945“. Auch diese Ausstellung ist online verfügbar. Sie dokumentierte ebenfalls die Geschichte des Hauses Fontanepromenade 15. (*15) Beide Ausstellungen bildeten eine solide Grundlage für alle, die in den folgenden Jahren die Geschichte des Hauses Fontanepromenade 15 in Erinnerung gerufen haben.

2.4. Aktuelle Diskussion

Im Jahre 2013 begann eine öffentliche Diskussion um das Gebäude Fontanepromenade 15 und seine Geschichte. In dem Jahr wurde mit der berlinweiten Veranstaltungsreihe „Zerstörte Vielfalt“ an das blühende kulturell geistige Leben der 20er Jahre von Berlin und dessen Zerstörung durch die Nationalsozialisten zwischen 1933 und 1938 erinnert. (*16)

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe rief die Künstlerin Stella Flatten mit einem Kunstprojekt in dem damals leerstehenden Gebäude  die Geschichte der Fontanepromenade 15 in Erinnerung. (*17) Im Mai 2013 enthüllte das Bezirksamt Kreuzberg-Friedrichshain eine Gedenktafel (*18) vor dem Gebäude. (*19)

Zu einer erneut öffentlichen Diskussion um das Gebäude kam es im Jahr 2016. Auslöser war der Verkauf des Gebäudes an einen Investor und der Beginn der Instandsetzung des Gebäudes Fontanepromenade 15 durch denselben zur weiteren Vermarktung (*20). In dieser Zeit wurden die Folgen des Handelns von Investoren verstärkt stadtweit wahrgenommen, ausgelöst durch die zunehmende Verdrängung von MieterInnen mit geringem Einkommen aus den Berliner Innenstadtbezirken und des Verkaufs von Immobilien. Darunter waren auch Immobilien mit hoher geschichtspolitischer Bedeutung für Berlin wie die Fontanepromeande 15.

Die Diskussion mündete im Jahr 2017 in der Gründung des geschichtspolitischen Vereins „Gedenkort Fontanepromenade 15“. Die Ziele des Vereines sind die Erforschung der Geschichte der Zentralen Dienststelle für Juden beim Berliner Arbeitsamt von 1938 – 1943 sowie die Entwicklung und Durchführung von Bildungsveranstaltungen für unterschiedlichste Zielgruppen.

Der Verein einigte sich mit dem neuen Investor schließlich auf eine vorbehaltliche Nutzung  des Untergeschosses des Hauses zu gedenkpolitischen Zwecken unter dem Vorbehalt einer Senatsfinanzierung.

Der Verein erreichte, dass im Berliner Landeshaushalt (Doppelhaushalt 2018/2019) Mittel für seine  Gedenk- und Bildungsarbeit vor Ort eingestellt wurde.  Bei den Beteiligten handelte es sich um einen von der Sache her gewinnorientierten Investor, um eine renommierte Gedenkstätte, die Topografie des Terrors sowie um eine unabhängig arbeitende Gedenkinitiative „Gedenkort Fontanepromenade 15.“ Aufgrund der unterschiedlichen Ziele und Arbeitsweisen der Partner kam es zu Konflikten. In der Folge wurden die Gelder nicht abgerufen. (21)

Der Verein „Gedenkort Fontanepromenade 15“ setzt sich weiter für die Erforschung der Geschichte der „Zentralen Dienststelle für Juden beim Berliner Arbeitsamt“ von 1938 – 1943 sowie die Entwicklung und Durchführung von Bildungsveranstaltungen an der Fontanepromenade 15 ein.


3. Erreichbarkeit:

Gedenkort Fontanepromenade 15 e.V:

Lothar Eberhardt, Willibald-Alexis-Str. 43, 10965 Berlin

www.wem-gehoert-kreuzberg.de/index.php/gedenkort-fontanepromenade-15

Fb: www.facebook.com/GedenkortFontanepromenade/

 

4. Anmerkungen/Quellen

Haederbild: Fontanepromenade 15, nach der Sanierung, Foto: Lothar Eberhard

*1 Diese Form der Zwangsarbeit wird „geschlossener Arbeitseinsatz deutscher Juden“ genannt. https://www.bundesarchiv.de/zwangsarbeit/haftstaetten/index.php?tab=28

*2 https://www.berlin.de/landesdenkmalamt/denkmale/liste-karte-datenbank/denkmaldatenbank/daobj.php?obj_dok_nr=09031208

*3 https://www.bg-verkehr.de/presse/zahlen-daten-fakten

*4 Das Gebäude wurde für den Autobahntunnel am Innsbrucker Platz in den 1960 er Jahren abgerissen. http://histomapberlin.de/histomap/de/index.html

*5 Adressbuch für Berlin und seine Vororte, Ausgabe 1933, Teil IV Einwohner und Firmen nach Straßen geordnet

*6 http://histomapberlin.de/histomap/de/index.html, Plan 1935 Fontanepromenade 15

*7 Adressbuch für Berlin und seine Vororte, Ausgabe 1935, Teil IV Einwohner und Firmen nach Straßen geordnet

*8 https://www.fhxb-museum.de/zwangsarbeit/zwangs_frkr/fontane.htm

*9 http://www.deutschefotothek.de/documents/obj/90015127/df_dk_0010001_3546_1985

*10 http://histomapberlin.de/histomap/de/index.html, siehe Pläne Fontanepromenade 15 der Jahre 1050?, 1954, 1962

*11 http://www.berliner-geschichtswerkstatt.de/ueber-uns.html

*12 https://www.museumsportal-berlin.de/de/magazin/vielfalt_im_kleinen_regionalmuseen/

*13 https://berlin.museum-digital.de/index.php?t=sammlung&gesusa=442

*14 https://berlin.museum-digital.de/index.php?t=objekt&oges=9628

*15 https://www.fhxb-museum.de/zwangsarbeit/zwangs_frkr/fontane.htm

*16 https://www.berlin.de/aktuell/ausgaben/2014/juni/ereignisse/artikel.223980.php

 *17 http://www.stellaflatten.com/portfolio-item/fontanepromenade-15-erinnerungsprojekt/

*18 https://www.tagesspiegel.de/berlin/ort-des-erinnerns-gedenkstele-am-haus-an-der-fontanepromenade-enthuellt/8246138.html, Die Gedenktafel entstand mit Unterstützung des Aktiven Museums Faschismus und Widerstand und des Kreuzberg-Museums, https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/fontanepromenade-am-suedstern-das-geisterhaus-in-kreuzberg-li.34539

*19 https://www.gedenktafeln-in-berlin.de/nc/gedenktafeln/gedenktafel-anzeige/tid/zwangsarbeit-arbeit/

*20 https://www.wem-gehoert-kreuzberg.de/index.php/gedenkort-fontanepromenade-15/1015-offener-brief-zum-baubeginn-in-der-fontanepromenade-15

Alle Links letztmalig abgerufen am 05.10.2021 um 9:00 UHR