kiez aktiv: Bockbrauerei

 

1. Zusammenfassung                                                  (Text als PDF)

Die Bockbrauerei  war ein vielseitiger  Gewerbehof und liegt hinter den Wohnhäusern der Fidicinstr. 4-12 in Berlin-Kreuzberg.  Der Zugang ist über eine schmale Auffahrt zwischen dem Pflegewohnheim in der Fidicinstr. 2 und der Fidicinstr. 4 möglich.

Zunächst setzte sich „Kiez Aktiv: Bockbrauerei“ für den Erhalt des Gewerbehofs in seiner ursprünglichen Form ein. Die Stadt braucht Raum für soziale und kulturelle Initiativen und Kleingewerbe. Wir wehren uns gegen die Pläne des Investors, dieses „Filetstück“ zur maximalen Gewinnerzielung und bis zur Unkenntlichkeit zu bebauen. Wir brauchen nicht noch mehr  luxuriöse Eigentumswohnungen sondern einen bunten Stadtteil von unten! In diesem Sinne verstehen wir uns als Teil der Anti-Gentrifizierungsbewegung.

Hinsichtlich der Bockbrauerei als Ort nationalsozialistischer Verbrechen wollten wir zunächst die Keller in ihrer Gänze erhalten. Es droht ein Teilabriss. In einer mittelfristigen Perspektive soll ein öffentlich zugänglicher Erinnerungsort entstehen, der das Wissen um die Verbrechen des Faschismus wach hält und ein aktives Erinnern von Unten befördert.

2. Die Geschichte des Ortes

2.1 Die Geschichte bis 1933

Ursprünglich wurde die Bockbierbrauerei 1838 von Georg Leonard Hopf als erste Stätte des Brauens von Bockbier vor dem Oranienburger Tor auf das weitläufige Gelände des Tempelhofer Bergs verlegt. Damit hatte er den Beginn der Entwicklung einer  der bedeutendsten Industrien Berlins geleistet. Bereits im ersten Jahr (1840) betrug der Absatz 4050 Hektoliter und wuchs rasch an. Weitere Grundstücke wurden gekauft und Betriebsgebäude zugefügt. Auf dem Gelände des heutigen Seniorenheims  Fidicinstrasse 2  gab es nicht nur einen großen Saalbau und eine Ausschankhalle, sondern auch Kegelbahn und Sommerbühne.  Für die Berliner Arbeiterbewegung waren die Säle der Bockbrauerei ein wichtiger Versammlungsort.  August Bebel  hielt bei dem Arbeiterfest des Wahlbezirks I und II  am 30.9.1890 anlässlich des aufgehobenen Sozialistengesetzes die Hauptrede.

1920 wurde die Brauerei von der Schultheiss  AG übernommen.  Bereits 1922 wurde die Brauerei geschlossen und die Gebäude mit den Kellern an verschiedene Gewerbe vermietet.

 

Die historische Brauerei, von der Schwiebusser Straße aus gesehen (um 1910), aus: Berlin im Welthandel des XX. Jahrhunderts, Berlin, 1910.

2.2. Die Geschichte des Ortes im Zusammenhang mit der Zwangsarbeit

Verbunkerter Treppenabgang der Rüstungsfabrik in den Kellern der Bockbrauerei. Foto: Wolfgang Bittner, Copyright: Landesdenkmalamt

Die Gebäude und Keller wurden im Zweiten Weltkrieg von der Wehrmacht genutzt, u.a. als Musterungssäle.  Wegen der Bombenangriffe wurde die industrielle Rüstungsproduktion ab 1944 zunehmend unterirdisch verlagert. Die Organisation Todt, benannt nach ihrem Namensgeber Fritz Todt, war eine paramilitärische Bautruppe  für NS-Infrastruktur-und Kriegsprojekte wie z.B. den Westwall. Sie war für die Errichtung von „Lore 2“ – der internen NS-Bezeichnung für die unterirdisch in die Keller der Bockbrauerei verlagerte NS-Rüstungsproduktionsstätte – zuständig. Sie nutzte dazu zeitweise KZ-Gefangene aus dem KZ Sachsenhausen sowie zivile Zwangsarbeiter*innen.

 

Im Gärkeller wird 1944 die Walzerei der Röhrenfabrik eingerichtet. Foto: Wolfgang Bittner, Copyright: Landesdenkmalamt

Von Dezember 1944 bis April 1945 wurde von der Telefunken AG in der Rüstungsfabrik Zwangsarbeiter*innen zur Fertigung von Elektronenröhren für das Militär herangezogen. Die Elektronenröhren wurden u.a. für die Funkanlagen in Kampfflugzeugen benötigt. Die Arbeitsbedingungen in den engen und stickigen Kellern müssen schrecklich gewesen sein.

Nach dem Krieg waren bis auf die Gebäude-Komplexe A (1869) und B (Schankhaus, ca. 1905) die Gebäude zerstört, die Keller jedoch erhalten geblieben. In den erhaltenen Gebäuden und den neu erstellten Flachbauten entwickelte sich eine bunte Gewerbe- und Kulturszene mit Kleinhandwerkern, Weinhändlern und Kulturschaffenden.

Aktuelle Entwicklungeb

Im Jahre 2016 wurde der größte Anteil an der Bockbrauerei von der Bauwert AG erworben, die großräumig abreißen und nur das Schwankgebäude B stehen lassen wollte.  Damit wären ca. 80% der Keller sowie der Bunkereingang abgerissen worden – ein authentisches Zeitzeugnis unterirdischer NS-Zwangsarbeit fast völlig verschwunden.

Gleichzeitig wurde der Kultur- und Gewerbestandort systematisch entmietet: Bis auf wenige erhielten die Gewerbemieter keine Verlängerungen ihrer Mietverträge.

Zustand der Bockbrauerei als lebendiger Gewerbe- und Kulturstandort vor dem Erwerb durch die Bauwert AG 2016 (öffentliches Schild)

Die Bauwert AG (nunmehr Bauwert Fidicinstrasse AG) will insgesamt 300 Wohnungen und Gewerbe (mit ca. 40.000 qm Baufläche) bauen, davon 250 im hochpreisigen Segment. In einem Block für die HoWoGe sollen 38 Sozialwohnungen entstehen, kleine Studierendenwohnungen und eine Kita. Das Schwankgebäude soll an eine Genossenschaft verkauft werden, einige wenige Kulturschaffende sollen dort preiswerte Gewerbemieten erhalten können.

Wir richten uns gegen diese dreifache Zerstörung: des historisch bedeutsamen Ortes, des gewachsenen Kultur- und Gewerbestandorts und unseres (ohnehin vielerorts schon nicht mehr existenten) bezahl- und bewohnbaren Kiezes.

Wer zur Initiative gehört

Engagierte Menschen aus dem Kiez, aber wir sind offen für alle, die sich engagieren wollen

 Kurz, lang- und mittelfristige Ziele

Wir möchten diese Zerstörung verhindern und fordern:

  • Die Wiederherstellung des Areals als Gewerbehof für kieznahes Gewerbe und Kulturprojekte zu bezahlbaren Mieten
  • Keine bauliche Verdichtung durch Luxus-Eigentumswohnungen. Ziel ist, die weitere Gentrifizierung Kreuzbergs wo noch möglich aufzuhalten.
  • Den Schutz der angrenzenden Häuser Fidicinstraße 4 und 5. Drohen dort einstürzende Altbauten, da direkt an ihren Brandwänden Keller abgerissen und Neubauten errichtet werden sollen?
  • Den Erhalt der denkmalgeschützten Keller und die Weiterentwicklung zum Erinnerungsort an Zwangsarbeit und Rüstungsproduktion 1944/45

Wir nehmen nicht länger hin, dass Investor*innen-Logik den Umbau unserer Stadt bestimmt. Wir sehen den Zusammenhang zwischen Stadtentwicklung und Gedenkpolitik – denn dort, wo allein die Logik des maximalen Profits gilt, bleiben Gemeinwohlinteressen auf der Strecke: Sowohl bezahlbares, gutes Wohnen als auch günstiges, kieznahes Gewerbe und auch Erinnern und Gedenken.

Wir streiten für alle drei Schwerpunkte: für eine gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung von unten!

 Was wurde bisher erreicht

Durch vielfältige Öffentlichkeitsarbeit wie z.B.  gut besuchte Veranstaltungen, Demos, Ständen, Online-Präsenz, Flyer-Aktionen, Interventionen bei Politiker*innen und in der BVV hat die Kiez-Initiative die Öffentlichkeit informiert und eine Sensibilisierung für die Themen in Stadtteil und Verwaltung hergestellt.

Die Initiative für den Denkmalschutz hat beim Landesdenkmalamt erreicht, dass die im Zusammenhang mit Zwangsarbeit stehenden Keller unter Denkmalschutz gestellt wurden.

Das Landesdenkmalamt ist zu dem Ergebnis gelangt: „Kein anderer Ort der NS-Zwangsarbeit in der unterirdischen Rüstungsproduktion  in Berlin ist in dieser Authentizität, in seiner Integrität so gut erhalten geblieben und dokumentiert, wie die baulichen Anlagen der historischen Brauereikeller, in denen die Telefunken GmbH zur Zeit des NS-Regimes eine unterirdische Rüstungsfabrik betrieben hat.“

Trotz Denkmalschutzes wollte der Investor bis auf die Keller unter dem Schwankgebäude alle Keller (etwa 80%) abreißen.  Bislang hat die Initiative erreichen können, dass  der Abriss auf ca. 20% der Keller beschränkt bleiben soll.

Der Fokus der Kiez-Initiative liegt jetzt darauf, dass die verbleibenden 80 % der im Zusammenhang mit Zwangsarbeit stehenden Keller sowie der Bunker und der Kellergang zum Schwankgebäude erhalten bleiben und der geschichtspolitisch interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können.

Welche konkreten Maßnahmen stehen aktuell an

Wir diskutieren z.Z., wie ein Gedenkort von unten gestaltet werden könnte.

Wo kann man sich über die Initiative informieren

https://www.wem-gehoert-kreuzberg.de/index.php/bockbrauerei

Die Erreichbarkeit 

bockbrauerei@posteo.de

 

 

Anmerkungen Quellen

Headerbild: Gebäude A kurz vor dem Abriss und das Schwankhaus (wird erhalten), 2021

Foto:  Lisa Schmitz, , Copyright

Abgeordnetenhaus BERLIN  Drucksache 18/18534 vom 9.4.2019

Abgeordnetenhaus BERLIN  Drucksache 18/19918 vom 6.6.2019

Eintrag in die Denkmalliste des Landes Berlin: „Fidicinstr. 3, Rüstungsfabrik der Firma Telefunken in umgebauten Brauereikellern 1944 (…), Schwiebusser Str. 14-16“.

Landesdenkmalamt Berlin (LDA 31): Erläuterungen zum Vorliegen der Merkmale eines Denkmals nach § 2 DSchG Bln vom 24.5.1995 vom 6.3.2017

Irmer, Thomas: Unterirdische Rüstungsproduktion in Berlin – Zur Geschichte der Verlagerung einer Rüstungsfertigung des Elektrounternehmens Telefunken in die Brauereikeller der ehemaligen Bockbrauerei in der Fidicinstraße 2-3 in Kreuzberg, 1944/45, Gutachten für das Landesdenkmalamt Berlin, Berlin 2016. [leider nicht öffentlich]

Uebel, Lothar: Hinter Mietsfassaden verborgen: Die Geschichte der ehemaligen Bockbrauerei auf dem Tempelhofer Berg,  Berlin 1995 (nur antiquarisch erhältlich) Hrsg. Grundstücksverwaltung Kasten-Mann

Berlin im Welthandel des XX. Jahrhunderts, Berlin, 1910.

Links und Zeitungsartikel

Tagesspiegel vom 16.4.2016: Bockbrauerei: Anwohner gegen Bauvorhaben

Prösser, Claudius: Zwangsarbeiter-Keller in Kreuzberg: Unter der Last der Geschichte, in: taz, 07.09.2019, elektronisch unter: https://taz.de/Zwangsarbeiter-Keller-in-Kreuzberg/!5621465/

Tagesspiegel vom 20.7.2019: Plötzlich Gedenkort

Tagesspiegel vom 14.4.2021: NS-Zwangsarbeit in Berlin: Wo die Spuren des Unrechts noch zu sehen sind

https://www.youtube.com/watch?v=9iy0Iuik33s

Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit: In den Kellern Berlins – Unterirdische Rüstungsproduktion der Firma Telefunken 1944/45

Vortragsveranstaltung am 20. Mai 2021